In der linken Hand hält er das Mikrofon, die rechte ballt er zur Faust: „Aufstehen, rausgehen und gegen den Rassismus kämpfen.“ Das ist nicht nur eine laut und eindringlich formulierte Herausforderung an die Schülerinnen und Schüler im Mehrzweckraum der Kaufmännischen Schulen. Das ist wohl auch sein Lebensmotto. 25 Jahre nach dem Brandanschlag in der schleswig-holsteinischen Stadt Mölln mit drei Toten und neun zum Teil schwer Verletzten erhebt Ibrahim Arslan immer noch seine Stimme, damit „die Geschichte unserer Familie in Mölln nicht in Vergessenheit gerät“. Ibrahim, damals sieben Jahre alt, überlebt das Feuer nur, weil seine Großmutter ihn in feuchte Tücher gewickelt und sicher abgelegt hat. Seine Schwester Yeliz (10), seine Cousine Ayse (14) und die Großmutter Bahide (51) kommen in einem der beiden Häuser um, in die zwei Neonazis Molotow-Cocktails geworfen haben. „Damit war unsere Familie zerstört.“
Bevor die Unterstufen der Höheren Handelsschule auf Einladung der Schülervertretung (SV) mit Ibrahim Arslan sprechen, informiert der Dokumentarfilm „Nach dem Brand. Eine Familie aus Mölln“ mit beklemmenden Bildern über das unfassbare Geschehen. Betroffenheit ist zu spüren. Und vielleicht auch ein wenig Scheu, mit einem Mann zu sprechen, der so viel Leid erfahren hat und nun direkt vor ihnen sitzt. Woher er überhaupt die Kraft nimmt, darüber zu reden, wird der 32-Jährige gefragt. „Es ist der alltägliche Rassismus, der mich krank macht. Diesen können wir nur überwinden, wenn wir darüber reden, ihn nicht totschweigen“, sagt er. „Und wenn ich merke, dass viel Solidarität da ist, dann werde ich stärker, das hilft mir sehr.“
Zwei Söhne hat er, fünf und sechs Jahre alt. „Ich hoffe immer, dass der Tag nicht kommt. Aber ich fürchte, sie werden irgendwann dem Rassismus ausgesetzt sein, denn er ist Teil der Gesellschaft, leider.“ Dagegen will er ankämpfen. Und dafür, dass nicht immer nur die Täter im Blickpunkt der Aufmerksamkeit stehen, sondern die Opfer, die die Leidtragenden sind und oft ein Leben lang unter den Folgen etwa eines Anschlages zu leiden haben.
Wie er selber. Unumwunden gibt er zu, dass er in psychologischer Behandlung war, auch stationär. „Ich habe mich zum Beispiel gefragt, ob ich Schuld am Tod meiner Schwester, meiner Cousine bin. Meine Oma hat mich gerettet, konnte den beiden aber nicht mehr helfen“, gibt er tiefe Einblicke in seine Psyche.
Die Anti-Rassismus-Arbeit gebe ihm die Kraft, weiterzuleben. Unweigerlich kommt die Frage nach Rachegefühlen auf. „Ja, die hatte ich,“, gibt Arslan unumwunden zu. „Ich wollte den beiden Tätern dasselbe antun, aber dann wäre ich ja auch Täter, stünde mit denen auf einer Stufe. Das will ich aber nicht.“ Diejenigen, die damals den Anschlag verübt haben, sind wieder auf freiem Fuß, „doch Rachegefühle habe ich heute nicht mehr.“ Würde er mit den Tätern sprechen, nach ihren Motiven fragen, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Das geht ihm aber dann doch zu weit: „Nein, das wäre mir zu emotional.“ Manchmal ist da noch dieses Husten, vom vielen Erzählen im stickigen Raum. Es ist aber auch traumatisch und eine Langzeit-Folge des Anschlags, mit der er zu kämpfen hat.
Wenn er auch nicht mit den Tätern reden will, so kennt er doch keine Berührungsängste. Er erzählt von einem Vortrag in einer anderen Schule, bei dem er unter den Zuhörern schnell einen jungen Mann ausgemacht hatte, dessen Gesinnung ganz offensichtlich rechts war: „Wie man das kennt, Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel.“ Dieser junge Zuhörer kam nach seinem Vortrag auf ihn zu und zeigte sich äußerst nachdenklich und beschämt über seine bisherigen Ansichten. Es ergaben sich ein langes Gespräch und ein Dauer-Kontakt über whats app. „Heute sind wir freundschaftlich verbunden.“ Arslan verheimlicht nicht, „dass natürlich auch schon einige Rechtsradikale meine Veranstaltung unter Protesten verlassen haben“.
Das hindert ihn aber nicht daran, auch künftig Rassismus anzuprangern. „Ich kann und will nicht alle erreichen. Aber die Richtigen“, sagt er und setzt hinzu: „Das seid hoffentlich ihr.“ Da kann er sich nach seinem ersten Besuch in den Kaufmännischen Schulen wohl sicher sein.