Durchaus skurril, das Ganze. Da entlässt Schulleiter Ralf König Neu-Pensionär Klaus Stieve feierlich und offiziell in den wohlverdienten Ruhestand. Und verabschiedet ihn dann unter dem Schmunzeln der Kolleginnen und Kollegen mit den Worten: „Dann bis morgen Früh zur ersten Stunde“. Der Angesprochene nimmt die Urkunde gerührt entgegen und den Schulleiter-Spruch gelassen hin und meint: „Ich werde da sein.“ Für Klaus Stieve, der 25 Jahre lang als Lehrer an den Kaufmännischen Schulen unterrichtet hat, ist es ein Abschied auf Raten. Bis zum Sommer wird er aushelfen, die personelle Situation in seinen Fächern ist angespannt. Ehrensache für den Nur-beinahe-Pensionär, „seiner“ Schule zur Seite zu stehen. „Nachsitzen“ muss Raimund Oeinck nicht. 35 Jahre an den „Kaufmännischen“, das reicht. Zunächst zumindest. Denn auch der Ochtruper kann von „seiner“ Schule so ganz nicht lassen. Er verspricht die Teilnahme an den Pensionärs-Treffen und das unbedingte Erscheinen auf Sommerfest und Weihnachtsfeier. Wenn der eine länger bleibt (freiwillig) und der andere gerne wiederkommt (freiwillig), dann muss das Lehrerleben an den „Kaufmännischen“ durchaus angenehm gewesen sein.
Und so loben beide das gute Arbeitsklima und verbinden dies mit einem großen Dank an den umstehenden Kollegen-Kreis. „Ich hatte ein sehr zufriedenes Berufsleben, auch dank euch“, resümiert Oeinck. Was sich an seinen wenigen Fehlzeiten ablesen lässt („Meine Frau arbeitet auf Intensiv, da zählen nur Herzinfarkt und Schlaganfall als Krankheitsgründe“). Und Klaus Stieve spricht von „einer wunderschönen Zeit an dieser Schule“. Er verweist lächelnd auf die „36 Zentimeter Schulleben“, die seine Lehrerkalender aneinandergereiht ergeben. Das hat er nachgemessen. Die Feier im Mehrzweckraum ist für beide ein Abschied vom Berufsleben mit einem derben Schuss Wehmut.
Nach der Diplomprüfung zum Volkswirt und Erwerb des Titels „Magister der Verwaltung“ studierte Raimund Oeinck die Fächer Pädagogik und Steuerlehre. Das Referendariat leistete er in Kleve, danach kam er 1982 nach Rheine, unterrichtete Wiso und Mathematik und fand seinen unterrichtlichen Schwerpunkt im Bereich der Steuerfachangestellten. Seit 1998 erstellt er die Statistik für die Schule. „Sein Lehrerdasein war durch große Kontinuität und Stetigkeit in der Leistung geprägt“, stellt Schulleiter König die Zuverlässigkeit Oeincks heraus.
Lehrerrats-Vorsitzender Christian Sondermann vergleicht ihn mit dem Steuermann „John Maynard“ aus der gleichnamigen Ballade, der durch heldenhaftes Handeln Passagiere und Besatzung vor dem Untergang mit einem brennenden Schiff rettet. „Gerettet hast du die Schule regelmäßig, weil es im Bereich Steuern ständig gebrannt hat und du immer da warst, wo es Brandherde zu löschen galt.“ Insofern sei er eigentlich immer mehr Feuerwehr- als Steuermann gewesen.
Seine Hilfsbereitschaft honorieren die Steuer-Kollegen, überreichen eine Udo Jürgens-CD mit Oeinck-Konterfei (recht ähnlich, die beiden). Dahinter steckt ein Musical-Besuch in Hamburg.
Klaus Stieve, Betriebswirt und diplomierter Handelslehrer, kam über die Stationen Münster, Köln, Osnabrück und Lingen nach Rheine. „Mit dem Einsatz in der Berufsschule, in der Höheren Handelsschule sowie im Wirtschaftsgymnasium hast du bei uns schnell deine Schwerpunkte gefunden“, meint König und stellt seinen Einsatz in der Steuergruppe „selbstständige Schule“, als Ausbildungskoordinator für Referendare, als Mitglied in IHK-Prüfungsausschuss für den Groß- und Außenhandel und als Vorsitzender des Lehrerrates heraus. Auch engagierte er sich viele Jahre im Verband der Lehrer an Wirtschaftsschulen.
Viele Lacher erntet Christian Sondermann mit seinen philosophisch angehauchten Betrachtungen zur „Klaus-Quote“ an der Schule (in Anspielung auf die anderen Kollegen gleichen Vornamens) und dem Hinweis, dass aus dem Ehren-Klaus ja nun ein Leih-Klaus geworden sei. Er rühmt Durchhaltevermögen und Dynamik, weil Klaus Stieve als einer der wenigen Kollegen auch noch nach seinem 65. Geburtstag seine Dienstzeit freiwillig verlängert.
Die Kollegen-Riege, die sich bei ihm mit vielen Geschenken und guten Worten verabschiedet, ist lang. Auch die Schülerinnen und Schüler sind dabei, via Einspielfilm verabschieden sich die Klassen mit lobenden Worten – und manche sogar in Reimform. Vielleicht haben sie sich diese Mühe gemacht, weil Klaus Stieve als Lehrer „nie den Blick auf den Menschen verloren hat“, wie Kollege Markus Doerr es arückt.
Übrigens: Der Leih-Klaus wurde am Morgen nach der Abschiedsfeier in alter Frische im Lehrerzimmer gesichtet. Natürlich pünktlich.