Und jetzt? Für die beiden Schülerinnen im grünen A-Klasse-Mercedes steht die Welt gerade Kopf. Schlechte Noten? Gute Noten? Beides nicht. Liegt wohl eher daran, dass das Wagendach nach unten zeigt und der Benz alle vier Räder gen Himmel streckt. Verkehrsunfall mit Überschlag. (Straßen-)verkehrte Welt. Keine angenehme Perspektive. Und jetzt? Der Gurt sitzt Gott sei Dank stramm, bewahrt das Damen-Duo vor schlimmen Verletzungen und hält sie in Position. Keiner angenehmen allerdings. Ich bin Unfallopfer, holt mich hier raus. Aber wie? Das Gurtschloss geht unter Druck nicht auf. Soll es auch nicht. Und jetzt? Also dann selber Druck ausüben. Beide pressen die Hände gegen das Dach, entlasten den Gurt. Ein metallischer Klick – und es folgt die Rettung ins Freie. Beide klettern wohlbehalten aus dem Fahrzeug. Schwein – oder besser – Gurt gehabt.
Ohne diesen… Den beiden Schülerinnen muss die Bedeutung des Rettungsgurtes nicht mehr erklärt werden: „Wir haben verstanden“ – auch wenn es sich nur um eine Demonstration im Rahmen der Verkehrssicherheits-Woche an den Kaufmännischen Schulen handelt. Und die hat noch mehr zu bieten für die knapp 1900 Schülerinnen und Schüler, die sich hautnah und aus erster Hand an fünf Vormittagen über Sicherheit im Straßenverkehr informieren können. Mehr Prävention geht nicht.
Gefahren lauern überall. „Und übrigens“, haben die Mitarbeiter der Verkehrswacht Minden für die Damen mit dem Drehwurm, aber auch deren umstehenden Klassenkameraden, noch einen Tipp parat: „Eine Handtasche wird bei so einem Überschlag im Auto zum Geschoss – manchmal zum tödlichen.“ Und ein Handy gehört nicht in die Hemdtasche. Ähnliche Wirkung. Ab damit ins Handschuhfach.
Apropos Handy. Der Fahrsimulator ist immer dicht umlagert. Gas geben, Bremsen wie im richtigen (Straßenverkehrs-)Leben. Dabei geht der Blick auch schon mal in Richtung Handy. Wie (oft) im richtigen (Straßenverkehrs-)Leben. Und wo kommt der Fußgänger auf einmal her? Es knallt. Der blaue Smart steht, die Windschutz-Scheibe ist zerborsten. In der Realität wohl nicht nur die. Wie war das? Lenken statt Ablenken! Annegret Wilkening von der Verkehrswacht gibt wertvolle Hinweise, vergisst auch das Loben nicht, wenn der Unfall vermieden wird: „Ihre Reaktionszeit war schon sehr gut.“ Und sie hat die Erfahrung gemacht: „Mädchen gehen die Fahrt sehr vorsichtig an, Jungen dagegen geben meistens sofort richtig Gas.“ Auch wie im richtigen (Straßenverkehrs-)Leben!?
Schülerin Marlen auf dem Motorradsimulator beherrscht das Zusammenspiel von Kupplung und Gas sehr gut, fährt zügig, aber mit „viel Gefühl“, wie der Instruktor lobt. Ihre Nachfolgerin im Sattel ist da schneller unterwegs und nutzt gleich auch die Standspur zum Überholen. „Moooment maaal“, bremst der Mann von der Verkehrswacht den Vorwärtsdrang und erläutert freundlich das Regelwerk: „Und jetzt noch mal.“ Am Simulator gibt’s die zweite Chance. Im Straßenverkehr meistens nicht.
Für Lena, angehende Medizinische Fachangestellte, reicht die eine. Im Gurtschlitten geht’s mit 14 Stundenkilometern gegen das Eisengestell. Ein lauter Knall. Alle gucken. Frisur verrutscht. Simulation eines Aufpralls mit 50. „Booh, da ist man hinterher voller Adrenalin“, sagt sie.
Und was ist das daneben? Ein silbern lackierter Schrotthaufen. War mal ein Opel Agila. Behaupten jedenfalls Kevin Hüls und Norbert Temmen von der Bundespolizei Münster. Kaum zu glauben. Der Wagen ist mit einer Lok zusammengeprallt. Der 86-jährige Fahrer kam lebend heraus. Kaum zu glauben. Die Bundespolizei ist erstmals in Rheine dabei, unter dem Motto „Sicher drüber“ informieren die Beamten über Gefahren an Bahnübergängen. Was sie zu erzählen haben ist eindrucksvoll, ebenso wie der kaltverformte Opel. „Muss ich nicht haben“, sagt ein Schüler und schaut sich das Wrack genauer an. Botschaft angekommen.
Jan Grunewald vom Caritasverband Rheine müsste schon vom Zusehen schwindelig werden, steht er doch den ganzen Vormittag torkelnden Schülerinnen und Schülern gegenüber. Ausstaffiert mit einer Rauschbrille, die 0,8 Promille simuliert, versuchen sie einen vorgegebenen Weg zu absolvieren. Und kommen ständig davon ab. Der Schlingerkurs macht deutlich: läuft nicht. Zumindest nicht mit Alkohol.
Weithin sichtbar in der Aula ist Wolfgang Amberge. Seine Warnweste signalisiert schon von Weitem, worum es geht. Sehen und vor allem gesehen werden. Das führt der Besuch im Dunkelzelt allen deutlich vor Augen. Und die Hinweise sind konkret: „Autos immer entgegen gehen, reflektierende Kleidung tragen“ – nur zwei Beispiele der Kreisverkehrswacht Steinfurt. Außen am Zelt leuchten weithin die Wörter „Auffällig“ und „Sichtbar“ in reflektierenden Schrift. Nur wer genau hinsieht, erkennt jeweils ein graues „Un“ davor. Nicht reflektierend. Alles klar?
Es ist das große Plus der Sicherheitswoche, dass vieles ausprobiert, am eigenen Körper erfahren und erspürt werden kann. Da braucht es dann nicht mehr viele Worte. Und den erhobenen Zeigefinger schon gar nicht. „2018 sind 369 junge Menschen im Kreis Steinfurt verunglückt“, sagt Verkehrssicherheits-Berater Andreas Kröger. „Auf dieser sehr gut vorbereiteten und top organisierten Veranstaltung erreichen wir unsere Zielgruppe der 18- bis 24-Jähgieren in einem sehr angenehmen Umfeld.“ Das ist ein dickes Lob für Organisator Thomas Miethe. Kurz gesagt: Mehr Vorbeugung geht nicht.