Lächerlich. Diese Aufgabe ist geradezu lächerlich. Auf einem überdimensionalen Blatt Papier an der Wand ist eine Straße in Schlangenlinien aufgezeichnet. Und Raphael soll dieser Spur mit einem dicken Stift folgen. So, als säße er in einem Auto. Lächerlich. Das schafft der Schüler aus der Handelsschule in weniger als sechs Sekunden. Super. Aber lächerlich. „Jetzt wird es schwieriger“, kündigt Frank Lösch von der Kreispolizeibehörde an. Nun soll Raphael auf einem Handy-Display eine Nachricht laut vorlesen und gleichzeitig den aufgemalten Parcours mit dem Stift abfahren. Der Schüler blickt abwechselnd auf das Handy, dann auf das Plakat. Alles geht langsamer, unkonzentrierter und auch nicht mehr so zielgenau. Über 22 Sekunden zeigt die Stoppuhr. … (Bild links: Polizei Münster Bild rechts: Zeichenstunde mit Aha-Effekt: Die Fahrbahn verfolgen, gleichzeitig auf das Handy schauen und den Blick in den Rückspiegel richten, das klappt einfach nicht.)

Und akkurat in der Mitte der Fahrbahn verläuft der farbige Strich nun auch nicht mehr. Es folgt Aufgabe 3, verschärfte Form: Mitschüler Valon hält einen Rückspiegel bereit, in dem Raphael zusätzlich den Verkehr beobachten soll. Nun ist es vorbei mit der Genauigkeit. Der Blick hängt einmal am Handy, geht zum Stift, danach zum Spiegel. Was denn nun?

Am Ende benötigt er fast 36 Sekunden, die ständige Ablenkung spiegelt sich im „Fahrtverlauf“ wider, Er ist mehrere Male angeeckt. „Wenn das jetzt eine richtige Autofahrt gewesen wäre…“. Der Polizist muss nicht weitersprechen. Allen wird klar: gar nicht lächerlich, diese Übung.

Sie zeigt dagegen eindrucksvoll, was passieren kann, wenn sich beim Autofahren der Blick weniger auf die Straße, sondern auf das Handy richtet. Viele Erläuterungen sind da gar nicht mehr nötig. Die Übung ist Teil der Verkehrssicherheitstage, die die Kaufmännischen Schulen für die etwa 800 Schülerinnen und Schüler der Unterstufen organisiert haben. „In diesen Klassen sitzen die Schülerinnen und Schüler, die bald den Führerschein machen werden“, sagt Organisator Thomas Miethe. „Sie gehören damit zur Gruppe der besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmer.“ Denn die 16- bis 24-Jährigen machen etwa acht Prozent der Bevölkerung aus, sie verursachen aber über 20 Prozent der schweren Unfälle.
Auf den erhobenen Zeigefinger verzichten die insgesamt sieben Polizeibeamten, die eine Woche an den Kaufmännischen Schulen sind. Das gebetsmühlenartige Wiederholgen von „Verkehrs-Hinweisen“ sparen sie sich. Sie wissen genau: Wird wahrscheinlich nichts bringen. Stattdessen lassen sie Bilder sprechen. Eindrucksvolle Bilder von realen Verkehrsunfällen. „Wer das nicht ertragen kann, der darf ruhig rausgehen, das ist keine Schande“, meint Löschs Kollege Frank Rogge. Alle bleiben. Manche müssen aber schlucken. Ein toter Motorradfahrer auf der Straße, ein Auto mit blutverschmiertem Cockpit, ein Tornister und ein großer Blutfleck unter einem Lkw – da muss nicht mehr viel geredet werden. Schocktherapie gewollt – Botschaft angekommen.

Alkohol und Drogen am Steuer – das ist natürlich ein Thema bei Jugendlichen. Vorsicht vor dem Restalkohol am Morgen, rät die Polizei, Vorsicht vor der 0,5-Promille-Grenze. Wer darunter liegt und keine Ausfallerscheinungen hat, dem passiert nichts. Kommt es aber zu einem Unfall, wird oft argumentiert: „Ohne Alkohol hätten sie besser reagieren und den Zusammenprall verhindern können.“ Also Mitschuld. Und bei groben oder dauernden Verstößen (ab 8 Punkten) geht es zur MPU. Frank Rogge: „Wenn ihr 1800 Euro übrig habt…“. Übrigens: In der Probezeit gilt null Komma null.
Ein besonderes Augenmerk richtet Frank Lösch auf den toten Winkel. „150 Menschen, überwiegend Rad fahrende Kinder, sterben jedes Jahr, weil sie beim Abbiegen übersehen werden.“ Der Hinweis ist berechtigt, viele Schülerinnen und Schüler kommen mit dem Fahrrad zur Schule. „Der Lkw-Fahrer sieht nur dann gut, wenn er über jede Menge Spiegel verfügt. Aber die hat eben nicht jeder. Seid also vorsichtig, denkt mit.“
Deutlich vor Augen geführt werden die Folgen zu schnellen Fahrens mit Hilfe einprägsamer Zeichnungen. 30er-Zone: In einiger Entfernung läuft ein Kind plötzlich auf die Straße, ein paar Meter weiter überquert ein Radfahrer unvermittelt die Fahrbahn. Der Fahrer, dessen Tacho 30 zeigt, kann rechtzeitig bremsen. Durchatmen. Bei 50 ist das Kind tot, bei 60 auch der Radfahrer.
Infos über die Rettungsgasse (seit 1. Januar 2017 in Europa einheitlich geregelt), über den Lebensretter Gurt („Kein Gurt – keine Entschuldigung“) und Behinderung von Polizei und Rettungsdiensten („Das geht gar nicht“) ergänzen die Polizei-Präsentationen. Klar wird allen: Fehler im Straßenverkehr sind selten rückgängig zu machen. Da gibt es keine Reset-Taste.