Der Appell von Johanna Raue ist ebenso eindringlich wie unmissverständlich: „Bitte stellt niemals, wirklich niemals, Nacktbilder von euch ins Internet. Die bekommt ihr nie wieder gelöscht.“ Einmal Internet, immer Internet: „Die Verbreitung solcher Fotos geschieht in Sekundenschnelle, das ist nicht kontrollierbar.“ Die Kriminaloberkommissarin der Kreispolizeibehörde Steinfurt weiß nur zu genau, wovon sie spricht. Im Kriminal-Kommissariat „Prävention/Opferschutz“ beschäftigt sie sich täglich mit den Folgen digitaler Gewalt wie Cyber-Grooming, Sexting oder Sextortion als eine besonders perfide Form der Erpressung. Gerade erst an diesem Morgen hat sie, bevor sie sich auf den Weg in die Kaufmännischen Schulen macht, die „tägliche Lage“ gecheckt. So heißen im Polizei-Jargon die neuesten Meldungen zu kriminellen Vorgängen. Gelesen hat sie dort von einem 10-jährigen Mädchen aus dem Raum Rheine als Geschädigte. Tatbestand: Beleidigungen mit sexuellem Hintergrund.

23 Schülerinnen und Schüler aus der Oberstufe der Höheren Handelsschule hören der Beamtin interessiert zu. Im „Projekt gegen Kindesmissbrauch und Kinderprostitution“ beschäftigen sie sich genau mit diesen Themen. Ziel des Unterrichtes ist es, eine Infowand in der Schule zu erstellen, die die Gefahren aufzeigt, die im Internet auf ihre Mitschüler*innen, aber auch deren jüngere Geschwister lauern. Und sie möchten über die Folgen informieren und die Kontaktdaten von Hilfsorganisationen veröffentlichen, an die sich diejenigen wenden können, die bereits Opfer geworden sind. An diesem Tag erhoffen sie sich im Gespräch mit der Polizeibeamtin weitere Anregungen für ihr Schulprojekt.

Johanna Raue macht der Schülergruppe deutlich, welche schlimmen Folgen sexuelle digitale Gewalt haben kann. Sie berichtet von einer 13-Jährigen, die durch einen Schulwechsel den Anfeindungen entgehen wollte. Vergebens – das Internet vergisst nicht. Die Bilder bleiben im Netz, holen die Opfer immer wieder ein. Das führt zu langfristigen psychischen und seelischen Beeinträchtigungen. Es sind Fälle aus Rheine, Emsdetten, Neuenkirchen – alle natürlich anonymisiert – aber eben echt. Nicht weit weg, ganz nah. „Die Betroffenen sind mitten unter uns, das wurde noch einmal ganz deutlich“, sagt später eine Schülerin. „Die Gefahren, die gerade auch in den sozialen Medien lauern, werden plötzlich greifbar.“ Und sogenannte Dicpics haben viele schon auf ihr Handy geschickt bekommen, das weiß die Projektgruppe natürlich.

Oberkommissarin Raue greift das Cyber-Grooming auf, macht deutlich, dass sich hinter dem Chat-Partner, der sich als 16-Jähriger ausgibt, der 60-Jährige stecken kann. Und der nur ein Ziel hat– sein weibliches Opfer so zu beeinflussen, dass es zunächst Nacktfotos schickt, sich später sogar mit ihm trifft und es zu sexuellen Handlungen kommt. Eine andere Masche: Wer im Besitz von eindeutigen Fotos ist, erpresst das Opfer. Sei es aus Rache für verschmähte Liebe oder einfach nur aus Bosheit. Nicht selten sind mittlerweile auch organisierte Banden am Werk, die hohe Summen fordern. „3000 Euro hat ein Mädchen gezahlt, bevor es endlich den Mut fand, sich jemandem anzuvertrauen“, verdeutlicht Raue, dass die Masche, Sextortion genannt, immer wieder Erfolg hat. Weil die Mädchen und Jungen sich schämen oder einfach Angst haben vor den angedrohten Folgen, wenn sie nicht zahlen. „Ich rate euch, niemals Geld zu überweisen“, rät Raue. „Ich kann verstehen, dass man Angst hat zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Aber es ist der einzige Weg, wir helfen euch.“

Oberkommissarin Johanna Raue (8.v.li., hinten) informierte die Schülerinnen und Schüler aus dem „Projekt gegen Kindesmissbrauch und Kinderprostitution“ über digitale sexuelle Gewalt.

Die Beamtin berichtet der Projekt-Gruppe auch über die Masche der Lover-Boys. Gutaussehende junge Männer, die Mädchen die große Liebe vorgaukeln, sie emotional abhängig machen und sozial isolieren. Dann täuschen sie Geldprobleme oder eine Notlage vor, die einzig das Mädchen lösen kann, indem sie ihren Körper verkauft. Der Einstieg in die Prostitution – der Loverboy entpuppt sich als brutaler Zuhälter. Kontaktbörse oft auch hier: das Internet.

Raues letzter Ratschlag an diesem Schulmorgen: Wer pornographische Bilder auf sein Handy geschickt bekommt, sollte diese sofort löschen. Der Besitz ist strafbar, auch wenn man in keiner Chatgruppe ist oder sie niemals angefordert hat. Wer dies der Polizei meldet, bekommt eine Anzeige. „Das ist gesetzlich so vorgeschrieben, aber das Verfahren wird vermutlich eingestellt, weil man ja die gute Absicht hat, diese Bilderflut zu stoppen und dazu beizutragen, die Täter zu ermitteln“, erläutert Raue. Die Entscheidung darüber treffe ab nicht die Polizei, sondern die Staatsanwaltschaft.

Für die Schülerinnen und Schüler aus dem Projekt sowie ihren Lehrer Dieter Tebbe ist der Besuch von Oberkommissarin Johanna Raue ein weiterer Antrieb, in den kommenden Wochen intensiv an der Informations-Wand zu arbeiten. Und diese wird dann auch die Kontaktdaten von Johanna Raue aufweisen.