Für Linda und Svenja ist es „überraschend, aber auch erschreckend“, wie viele Frauen sich auch nach einer Gewalterfahrung nicht von ihrem Mann trennen können. „Rund 60 Prozent gehen wieder zurück in die alte Beziehung“, präsentiert Sabine Fischediek Fakten, die zunächst mit ungläubigem Kopfschütteln quittiert werden. Sie muss es wissen, arbeitet sie doch seit 34 Jahren im Frauenhaus in Rheine. „Eine Frau war neun Mal bei uns, sie hat gekämpft, immer wieder, und es dann schließlich doch geschafft.“ Und eine andere, eine Lehrerin, hat die Misshandlungen acht Jahre ausgehalten, ohne endgültig zu gehen. Warum? Das ist die Frage, die beim Besuch von Sabine Fischediek in den Kaufmännischen Schulen den Schüler:innen unter den Nägeln brennt. Warum lassen Frauen sich das gefallen?
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Klassenfoto (selbstverständlich ohne Referentin Sabine Fischdiek, die anonym bleiben muss): Die Kaufleute für Büromanagement informierten sich über das Frauenhaus Rheine.
Sabine Fischediek bleibt der Klasse diese Antwort nicht schuldig und zeichnet ein sehr differenziertes Bild der Frauenschicksale, mit denen sie seit Jahrzehnten zu tun hat. Ein wesentlicher Grund sei oft die Rücksicht auf die Kinder: „Die Frauen wollen ihnen nicht den Vater vorenthalten“. Oder die Drohung des Mannes, dass er seinerseits der Frau die Kinder nehmen könnte. Finanzielle oder emotionale Abhängigkeit vom Mann, die Hoffnung auf Besserung, die Sicht auf die „guten Seiten“ des Mannes, die Ohnmacht nach jahrelanger Gewalterfahrung, das seien alles Gründe, die oft gegen eine Trennung sprächen. „Und dann ist da auch noch der Schämfaktor, der verhindert, dass sich die Opfer an Familie und Freunde wenden und die Isolation aufbrechen“, sagt Fischediek. Und sie weiß ganz genau: „In ein Frauenhaus zu gehen, das ist ein ganz schwerer Weg.“
Die Trennung der Frau von ihrem prügelnden Mann, das sein ein „ganz gefährlicher Moment“, berichtet die Sozialarbeiterin. Denn da sei die Gefahr am größten, dass eine Frau Opfer eskalierender Gewalt werde. „Das ist dann für alle Beteiligten eine sehr komplexe Situation, viele können damit nicht umgehen.“
Das Frauenhaus in Rheine ist seit 1987 Zufluchtsort für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. „Immerhin erlebt jede vierte Frau irgendwann einmal diese Gewalt, das ist für mich nach wie vor höchst erschreckend“, sagt Fischediek. „Aber immer mehr Frauen zeigen Gewalttaten an, das finde ich gut“, setzt sie hinzu. „Und Handyfotos von blauen Flecken werden mittlerweile als Beweis auch vom Gericht akzeptiert.“
Obwohl das Thema bedrückend ist, versteht es Sabine Fischdiek durch ihre offene, freundliche, aber auch vehemente Art, den angehenden Kaufleuten für Büromanagement behutsam die unterschiedlichen Facetten ihrer Tätigkeiten nahe zu bringen. „Beeindruckende, aber auch berührende Geschichten“, meint Schülerin Denise. Zuhören, Ernstnehmen, mit diesen Begriffen erläutert Fischediek wesentliche Bausteine ihrer Arbeit im Frauenhaus. „Ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das ist das Wichtigste, damit die Frauen sich bei uns sicher fühlen.“ Eine Herausforderung für sie und ihre Mitarbeiterinnen (zwei Sozialarbeiterinnen, eine Erzieherin und eine Hauswirtschafterin): 19 Frauen und Kinder finden Platz in Rheine, da „hat man nicht genug Zeit, sich immer intensiv um alle Probleme zu kümmern.“ Und Fischediek verschweigt auch nicht, dass „mich das belastet.“ Rund um die Uhr sind die Mitarbeiterinnen erreichbar, nach Dienstschluss wird das Telefon auf das private Handy umgestellt. „Der Druck ist groß, wenn man viele Dienste hat, das macht schon manchmal mürbe.“ Und so kommen Melanie und Jacqueline zu dem Schluss: Was die Mitarbeiterinnen da leisten, das ist schon sehr bemerkenswert.“ Letztendlich meint Pia: Es ist gut zu wissen, dass es für Frauen, die schreckliche Gewalt erlebt haben, einen Ort gibt, an dem sie wieder Geborgenheit spüren und sicher sind.“
Damit das so bleibt, will das Frauenhaus sich erweitern. „Wir suchen in Rheine ein zentral gelegenes Grundstück“, sagt Fischediek. Und weiß genau: „Die Folgen der Corona-Krise, die kommen sicher noch.“ Deutlich mehr Kapazitäten, auch im personellen Bereich, das ist nach der Unterrichts-Stunde die Forderung von Britta.
Dass Sabine Fischediek eine gute Botschafterin des Frauenhauses war, ist schnell zu erkennen: Die Klasse sammelt nach ihrem Besuch im Religionsunterricht gemeinsam mit Lehrer Dieter Tebbe Kleidung und Spiele für die Einrichtung. Kein Zweifel: Eine Schulstunde mit Sabine Fischediek, das ist eine Schulstunde, die nachwirkt.
Frauenhaus Rheine: Telefon 05971/ 12793; Mail: frauenhaus@dw-te.de
Wir wollen Sensibilisieren!
Wir die Klasse KBMO3 haben uns mit dem Thema „häusliche Gewalt“ intensiv auseinandergesetzt. Der Besuch der Leiterin des Frauenhauses hat uns dazu animiert sich näher mit der Thematik zu beschäftigen, sodass wir innerhalb des Unterrichts zum Thema passende Kurzvideos, einen Flyer, eine Checkliste und weitere Informationen erstellt haben. Wir wollen so einen Beitrag zur Sensibilisierung und Aufmerksamkeit für die Thematik schaffen.